Braunschschweiger
Zeitung am 8.Januar 2007 :
,,Bio" braucht einen langen
Atem
Harald Hentschel: Lieferengpasse bei Bio-Lebensmitteln
sind vor allem ein Problem der großen Handelsketten
Von Toni Korporal
HELMSTEDT. ,,Bio-Lebensmittel wie Gemüse, Eier und Fleisch
knapp" - so eine Meldung unserer Zeitung in der vergangenen
Woche. Harald Hentschel und Annegret Schaper, die in Helmstedt den
Bio-Markt Via Verde betreiben, haben damit keine Sorgen. Aber auch
keinen Grund zur Schadenfreude.
Harald Hentschel zieht im Gespräch. mit unserer Zeitung eine
dicke Trennlinie zwischen den Großen Handelsketten, die in
den vergange¬nen Monaten auf den Bio-Zug aufgesprungen sind,
und den kleinen Händlern, die seit vielen Jahren im Geschäft
sind. Letztere - und ihre Kunden - hatten sich vielfach bereits
vor rund 30 Jahren Gedanken darüber gemacht, wie man die Lebensmittelproduktion
in Einklang mit der Natur gestalten kann.
,,Wir haben langfristige Vertrage mit den Erzeugern abgeschlossen",
so Hentschel. Der Handel habe den zur Umstellung auf Bio-Landwirtschaft
bereiten Landwirten ein bestimmtes Abnahmevolumen pro Jahr zu einem
bestimmten Preis garantiert, wodurch eine ganz neue Struktur geschaffen
worden sei. ,,Der Bio-Markt hat sich völlig separat vom konventionellen
Markt entwickelt. Der Bio-Erzeuger hatte die Gewissheit, dass der
für seine Produkte den höheren Preis bekommt", sagt
Hent¬schel. Diese Entwicklung sei kontinuierlich vorangetrieben
worden, die Flachen für Bio-Produktion seien allmählich,
dem Bedarf angemessen, ausgeweitet worden.
Dann kamen die Lebensmittelskandale, und die bisherigen Käufer
konventioneller Lebensmittel ,,gerieten in Panik". Harald Hentschel
nennt sie mit einem Schmunzeln ,,BSE-Kunden". Bio-Erzeuger
weiteten ihre Anbauflächen aus, mussten
aber vielfach feststellen, dass die explodierende Nachfrage mit
dem Verschwinden des Themas aus den Medien bald wieder abebbte.
Bis vor kurzem jedenfalls, als die großen Lebensmittelketten
den Bio-Sektor als Gewinnbringer entdeckten. Die Vorarbeit dafür
haben sie nach Hentschels Auffassung allerdings nicht geleistet.
So müssen Bio-Lebensmittel aus allen Teilen der Welt geordert
werden. Die morgen zwar für den Verbraucher gesund sein. Ökologisch
sinnvoll sind die globalen Warenflusse aber nicht - zumal auch sie
das Versorgungsproblem nicht mehr losen können. Bei den ,,Rennern"
unter den Biowaren wie Mohren, Eier, Butter, Kartoffeln und Milch
zeichnen sich für große Händler veritable Engpasse
ab. Auf die Lieferkapazitäten, die sich die ,,Kleinen"
in Partnerschaft mit den Erzeugern über Jahrzehnte aufgebaut
haben, haben die ,,Großen" keinen Zugriff.
Hentschel hofft, dass sich - auch regional - die Zahl der Bio-Produzenten
und -Verarbeiter erhöht. Und dass noch mehr Verbraucher erkennen,
dass ,,Bio" mehr ist als eine Marke.
Große Öko-Anbauverbande:
- Bioland (4540 Biobauern und 720 Lebensmittel-Hersteller, Vereinsgründung
Mitte der 70er-Jahre)
- Demeter (propagiert die „ Biologisch-Dynamische Wirtschaftsmethode",
Etablierung des Warenzeichens Ende der 20er-Jahre, 1350 Landwirte
in Deutschland, 3200 weltweit);
- Naturland (internationale Zertifizierungsorganisation im Öko-Landbau,
1982 gegründet, betreut 46000 Landwirte und Erzeugergruppen).
Informationen:
»Internet-Portal des ,,Bundesprogramms Ökologischer Landbau"
unter www.oekolandbau.de
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